Juli 1944 - Oktober 1945, fast 2500 km |
Der lange Weg nach Hause.
Auf dem Weg von Flensburg nach Lübeck begegneten die Mädchen deutschen Soldaten, die zusammengezogen wurden, um nach Frankreich in die Gefangenschaft abtransportiert zu werden. Viele von ihnen riefen die Leute, die vorbeikamen an, ob sie in die und die Richtung unterwegs seien. Einer fragte nach Schweinfurt. Da wollte meine Omi ja hin. Zu einer Cousine von ihr.
Sie lief zu ihm und bekam eine Uhr und einen Brief an die Mutter. Es ging dem etwa 25jährigen vor allem darum, dass seine Mutter erfuhr, dass er lebte und wo er war. Omi band sich die Uhr an den Oberarm, damit sie unentdeckt blieb.
Es war eindrucksvoll, erzählte meine Omi, wie der Heimtransport organisiert wurde. Unglaublich, dass überhaupt noch etwas organisiert ablief und nicht komplettes Chaos herrschte. Es gab einen riesigen Güterzug. Dort hinein drängten sich all die Menschen, die heim wollten.
Immer wieder gab es amerikanische Kontrollen. Da nahmen sie ihr die Uhr gleich wieder ab.
Zwischendurch hielt der Zug. Aber nicht lange. Gerade Zeit zum pinkeln.
Es muss Ende August, Anfang September gewesen sein. Zwetschgenzeit. Einige nutzten die kurzen Aufenthalte, um schnell ein paar Früchte von den nahe stehenden Bäumen zu rupfen. Einmal gab es einige Aufregung und man fragte verzweifelt nach Verbandszeug. Omi hatte eine sogenannte Russentasche bei sich. Ein derber Beutel, den man durch Drüberschlagen eines verlängerten Teiles schließen konnte. Darin bewahrte sie alles Mögliche zum Binden auf. Sie gab den ganzen Beutel hin.
Ein paar Mädchen hatten noch Zwetschgen runtergerissen als der Zug anfuhr. Auf dem Rückweg über die Schienen wurden sie von einem entgegenkommenden Zug erfasst.
Schweinfurt nach 1943 |
65 Jahre später klingelt im Haus meiner Omi in Berka, ihrem Elternhaus, das Telefon. Ein Mann ist dran und berichtet, dass sein Vater Omi unbedingt besuchen möchte. Er möchte ihr persönlich danken, dass sie damals Wort gehalten und seiner Mutter die Nachricht überbracht hat, dass ihr Junge lebt. Das hat der armen Mutter viel bedeutet. Alles! Der Soldat kam irgendwann heim, gründete in Westdeutschland eine Familie und führte ein gutes Leben. Doch während all der Zeit hat er die Geste von damals nicht vergessen und das Vorkommnis hat ihn stets begleitet. Omi hatte keinerlei Hang zum Dramatischen und fand das eher albern nach all diesen Jahren. Für sie war das damals so natürlich, wie Forest Gump im Film einfach losläuft. Aber dann habe ich den im hohen Alter rührselig gewordenen Widwer im Sessel von Omis Stube sitzen sehen und in meinen Ohren kulminierte seine Dankbarkeit annähernd in einen Heiratsantrag. Omi warte nur ungeduldig die gebotene Höflichkeit, sich die ganze Dankesgeschichte des Mannes anzuhören und entschwand bald zu ihren ihr dringlicher erscheinenden Tätigkeiten
Doch wie kam man 1945 nach Hause in die Ostzone? Es gab Grenzführer. Zum Beispiel brachte man Gruppen von Melrichstadt nach Meiningen. Dafür gab man Geld, aber Omi hatte keins. Es ging trotzdem. Eines Nachts gings los. Zu Fuß. Quer durchs Gelände. Zwischendurch ein paar Pausen. Dann hieß es, wir sind da und der Grenzführer verließ die Gruppe. Sie waren oberhalb von Meiningen. Inge ist schon vorher abgebogen. Ilse und Ursel verabschiedeten sich am Meininger Bahnhof. Ursel musste in eine andere Richtung. Ilse fuhr nach Eisenach. Dann also allein im Zug. Endlich nach Hause! Was für ein Abenteuer, ruft meine Omi aus.
In Eisenach rief sie in Berka an. Es sprach sich rum wie ein Lauffeuer. Ilse kommt heim! Einer der drei letzten Mäderchen. Der Papa konnte mit einem Brauereiauto mitfahren. Doch Omi konnte nicht warten und hatte sich in der Zwischenzeit ebenfalls eine Mitfahrgelegenheit organisiert. Fast hätte man sich verpasst, doch Omi erkannte ihren Papa, der ihnen auf der Straße entgegenkam.
[den letzten Teil gibts im nächsten Post]
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