[dies ist eine Fortsetzung von S&G III/1]
„In dieser Studie…“ Sie fing an, konfus in der Zeitung rumzublättern, wobei sich die Seiten immer wieder einrollten. Sie schien gefunden zu haben, was sie suchte, zeigte es ihm aber nicht, sondern klappte die sich verheddernden Seiten wieder zu. „Es ist wirklich alles nur Chemie.“ Bei „wirklich“ überschlug sich ihre Stimme ein wenig. Sie schien verzweifelt. „Sie haben herausgefunden, welche Stoffe, welche Hormone ausgeschüttet werden, wenn man verliebt ist [s.a.]. Und der Grund ist in den ersten paar Sekunden zu suchen.
Der Geruch spielt eine Rolle. Natürlich. Aber gemeint sind vor allem Pheromone, die wir gar nicht bewusst wahrnehmen. Und die Typfrage - das ist nur etwas Zusammengewürfeltes aus unseren Erfahrungen. Das ist noch nicht mal logisch! Ergründet man, warum man auf einen bestimmten Typ steht, kommt häufig raus, dass man mit diesem Typ nicht mal unbedingt was Positives verbindet, sondern eben nur etwas Bekanntes.“
Sie sah ein bisschen so aus, als müsse sie sich gleich übergeben. So ein Grau, was schon ins Grünliche übergeht, umspielte ihre Nasenflügel. Es war ein heißer Tag und die winzigen Schweißperlen auf ihrer Oberlippe vibrierten leicht.
„Das schlimmste ist, dass man überhaupt nichts dagegen machen kann. Es ist von unserem Unterbewusstsein vorprogrammiert und unser Bewusstsein steht mit verdrehten Füßchen da und zuckt mit den Schultern. Wenn man nur eine Ahnung davon hätte, was richtig und falsch ist oder was gut für einen ist, könnte man sich vielleicht konditionieren. Im Grunde sind wir mit diesen 8 Prozent oder so, die wir von unserem Gehirn nutzen, dermaßen armselig dran. Wir spiegeln uns vor, dass wir die Drähte in der Hand haben. Dass wir, wenn wir wollen, unser Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Aber in Wahrheit hat uns unser Unterbewusstsein oder jedenfalls etwas, dass uns nicht bewusst ist, fest im Griff. Ich fühle mich ohnmächtig und weiß nicht, was das alles soll.“
Ich erinnere mich noch genau an den Blick von Herrn Schön. Er sah sie mit schiefen Kopf und blinzelnden Lidern mitleidig an. Aber in seinen Augen war auch etwas Funkelndes. So als ob er sich darüber freute, ihr gleich etwas wahrhaft tröstendes sagen zu können. Es befriedigte ihn sichtlich, auf Verzweiflung zu treffen, weil er überzeugt war, die Decke parat zu haben, die er heilsam darüber ausbreiten konnte. Er räusperte sich, als wäre es ihm unangenehm, sich bei so einem hochmütigen Gedanken ertappt zu haben.